Hebr 7,18-19 Damit erfolgt nämlich eine Aufhebung des vorher gültigen Gebotes wegen seiner Kraftlosigkeit und Nutzlosigkeit — denn das Gesetz hat nichts zur Vollkommenheit gebracht —, zugleich aber die Einführung einer besseren Hoffnung, durch die wir Gott nahen können. [SLT]
Wie bei Hebr 7,12 (der “Veränderung, die eigentlich Überstellung bedeutet”), ist auch hier die Wiedergabe des griechischen Wortes “athetesis” mit “Aufhebung” irreführend. Denn wenn “athetesis” wirklich Aufhebung im Sinne von “Abschaffung” bedeutet, dann könnten wir auch nicht mehr sündigen, denn…
Hebr 9,26 denn sonst hätte er ja oftmals leiden müssen von Grundlegung der Welt an. Nun aber ist er einmal offenbar geworden in der Vollendung der Weltzeiten zur Aufhebung [gr. “athetesis”] der Sünde durch das Opfer seiner selbst. [SLT]
Es macht hier den Anschein, dass durch das Opfer Jesu nicht nur das Gesetz, sondern auch die Sünde abgeschafft wurde. Kann das sein? Oder sind die Stellen nur falsch wiedergegeben worden und so irreführend?
Denn eines ist uns doch allen klar: Natürlich ist die Sünde nicht abgeschafft worden, sondern sie besteht weiterhin. Leider wohnt sie uns sogar noch inne:
Röm 7,20 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, so vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. [SLT]
Und was ist die Sünde?
1Joh 3,4 Jeder, der die Sünde tut, der tut auch die Gesetzlosigkeit; und die Sünde ist die Gesetzlosigkeit. [SLT]
Wäre die Sünde also wirklich abgeschafft, wie es vermeintlich Hebr 9,26 besagt, dann könnten wir nicht mehr sündigen, selbst wenn wir wollten, denn die Sünde wäre ja durch das Opfer Jesu abgeschafft. Genau das gleiche gilt für’s Gesetz laut Hebr 7,18: Ist das Gesetz abgeschafft, können wir nicht mehr sündigen, denn die Sünde ist ja die Gesetzlosigkeit. Aber wo kein Gesetz, da keine Sünde.
Kann das sein?
Die Antwort auf diese Frage, gibt die Antwort nach der Frage, ob die Sünde abgeschafft sein kann. Ist die Sünde nicht abgeschafft, wieso sollte dann das Gesetz abgeschafft sein?
Anders formuliert: Wenn es anhand dieser Stellen so klar ist, dass die Sünde nicht abgeschafft sein kann, wieso ist es gleichzeitig nicht genauso klar, dass das Gesetz ebenfalls nicht abgeschafft sein kann? Es werden ja dieselben griechischen Wörter benutzt.
Das zweite wichtige bei der Formulierung “Damit erfolgt nämlich eine Aufhebung des vorher gültigen Gebotes…” ist die Zeitform.
Erneut, gilt es festzuhalten, dass nicht geschrieben steht: “Damit erfolgte nämlich die Aufhebung des vorher gültigen Gebotes…”; denn das würde eine abgeschlossene Handlung beschreiben, was da aber nicht geschrieben steht.
Die Textbibel (eine Übersetzung an der mehr als 10 Professoren beteiligt waren) gibt die Stelle wie folgt wieder:
Hebr 7,18 Denn ein Gebot wird mit der Zeit abgeschafft wegen seiner Kraftlosigkeit und Unnützlichkeit; [TB]
Die interlineare (“Wort für Wort”) -Übersetzung gibt die Stelle mit “das Gebot ist beim Unplatziert werden“:
Die englische Übersetzung rechts neben der interlinearen besagt “is coming to be” und gibt somit ebenfalls eine nicht abgeschlossene, zukünftige Handlung wieder.
Wir werden, wie bereits erwähnt, auf diesen zeitlichen Aspekt gleich mit Hebr 8,13 näher eingehen, sodass keinerlei Missverständnisse mehr dazu aufkommen können.
Vorab noch die Frage:
Aber wenn das Gesetz nicht aufgehoben wurde, was bedeutet dann in diesem Zusammenhang der Zusatz “das Gesetz hat nichts zur Vollkommenheit gebracht”?
Die Antwort darauf gibt uns – wie fast immer – der Zusammenhang selbst:
Hebr 7,23-28 Und jene sind in großer Anzahl Priester geworden, weil der Tod sie am Bleiben hinderte; er aber hat, weil er in Ewigkeit bleibt, ein unübertragbares Priestertum. Daher kann er auch diejenigen vollkommen erretten, die durch ihn zu Gott kommen, weil er für immer lebt, um für sie einzutreten. Denn ein solcher Hoherpriester tat uns not, der heilig, unschuldig, unbefleckt, von den Sündern abgesondert und höher als die Himmel ist, der es nicht wie die Hohenpriester täglich nötig hat, zuerst für die eigenen Sünden Opfer darzubringen, danach für die des Volkes; denn dieses [Letztere] hat er ein für alle Mal getan, indem er sich selbst als Opfer darbrachte. Denn das Gesetz bestimmt Menschen zu Hohenpriestern, die mit Schwachheit behaftet sind; das Wort des Eidschwurs aber, der nach der Einführung des Gesetzes erfolgte, den Sohn, der in Ewigkeit vollkommen ist. [SLT]
Das Gesetz rund um das levitische Priestertum nach Aaron kann nichts zur Vollkommenheit bringen. Das war und ist auch nie die Absicht dieses Priestertums.
Das ist sehr, sehr wichtig und daher noch einmal in anderen Worten:
Das irdische Priestertum ist nicht dazu bestimmt, den Menschen vollkommen zu machen.
Das kann nur das Werk unseres Herrn.
Die Funktion des levitischen Priestertums ist, wie wir zuvor sehen konnten, u.a. als eine Nachbildung zu dienen, mithilfe dessen wir himmlische Vorgänge besser verstehen dürfen. Es konnte deswegen nicht “vollkommen erretten“, denn der Tod hinderte selbst die Priester am Bleiben; d.h. sie konnten dort, in der Anwesenheit Gottes, nicht ewig bleiben. Das ist aber der Wunsch unseres himmlischen Vaters: Er mitten unter seinen Kindern!
Das, was dieses Priestertum also nicht zu tun vermochte, das tat unser Herr, denn er lebt ewig und ist nicht mit Schwachheit behaftet, sondern in Ewigkeit vollkommen. Daher kann er auch – im Gegensatz zum irdischen Priestertum – diejenigen vollkommen erretten, die durch ihn zu Gott kommen, weil er für immer lebt, um für sie einzutreten.
Amen.