Überlieferungen, Übereifer, Überinterpretation und Übervorsicht
Wie alle diese Punkte miteinander zusammenhängen und was sie mit unserem Thema zu tun haben, schauen wir uns anhand zweier Ereignisse aus der Bibel an. Das erste leitet unser Thema quasi ein:
Neh 13,1-3 An jenem Tag wurde im Buch Moses vor den Ohren des Volkes gelesen; und man fand darin geschrieben, dass kein Ammoniter und Moabiter in die Versammlung Gottes kommen sollte in Ewigkeit, weil sie den Kindern Israel nicht mit Brot und mit Wasser entgegengekommen waren und Bileam gegen sie gedungen hatten, um sie zu verfluchen; aber unser Gott verwandelte den Fluch in Segen. Und es geschah, als sie das Gesetz hörten, da sonderten sie alles Mischvolk von Israel ab.
Hier sehen wir, wie das frisch aus der Gefangenschaft Babylons zurückgekehrte Volk ein Gebot aus der Torah liest und es dann übervorsichtig und übereifrig überinterpretiert. Wie? Indem sie nicht nur die “Ammoniter und die Moabiter absondern”, wie es die Torah sagt, sondern eben “alles Mischvolk”.
Hätte Gott aber gewollt, dass alles Mischvolk ausgesondert wird, dann hätte er das auch so geboten. Das hat er aber nicht. Das heißt, dass sie hier eigentlich total löblich und vorbildlich im vollsten Gehorsam ein Gebot befolgen wollen, aber am Ende sündigen, weil sie die Torah – durch die Missachtung von 5Mo 4,2 – brechen; d.h. sie fügten der Torah etwas hinzu, was da gar nicht steht. Klingt erst einmal widersprüchlich, aber genau dafür ist ja 5Mo 4,2 da:
Damit Menschen nicht selbst entscheiden, was gut und was böse ist. Damit sie nicht wieder vom falschen Baum essen.
…
Weiter interessant bei dieser Situation ist, dass sie eins zu eins und quasi prophetisch & geistlich auf uns heute passt. Denn auch heute passiert im übertragenen Sinne genau dasselbe wie damals:
- Auch heute kommen wir frisch aus der Gefangenschaft Babylons (eben aus ihrer geistlichen Gefangenschaft und Verwirrung der Welt),
- dann lesen auch wir die Gebote aus der Torah,
- und dann überinterpretieren auch wir mit Übervorsicht und im Übereifer gewisse Gebote.
- Das Ergebnis davon ist dann, dass auch wir hin und wieder dadurch die Torah verändern.
Im Grunde spiegelt das alles folgende Weisheit wider:
Pred 1,9 Das, was gewesen ist, ist das, was sein wird; und das, was geschehen ist, ist das, was geschehen wird. Und es gibt gar nichts Neues unter der Sonne.
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Nun zum zweiten Beispiel für “Übereifer, Überinterpretation und Übervorsicht”. Es ist aus demselben Kapitel:
Neh 13,17-19 Da stritt ich mit den Edlen von Juda und sprach zu ihnen: Was ist das für eine böse Sache, die ihr tut, dass ihr den Sabbattag entheiligt? Haben nicht eure Väter ebenso getan, so dass unser Gott all dieses Unglück über uns und über diese Stadt brachte? Und ihr mehrt die Zornglut über Israel, indem ihr den Sabbat entheiligt! Und es geschah, sobald es in den Toren Jerusalems vor dem Sabbat dunkel wurde, da befahl ich, dass die Türen geschlossen würden; und ich befahl, dass man sie nicht öffnen sollte bis nach dem Sabbat. Und ich bestellte einige von meinen Dienern über die Tore, damit keine Last am Sabbattag hereinkäme.
In den Versen vor dieser Passage kann man lesen, wie Menschen am Sabbattag ihrer Arbeit nachgingen, indem sie die Kelter traten und allerlei Handel trieben. Daraufhin reagierte Nehemia vorbildlich und ermahnte sie scharf. Dann befahl er, dass von Sabbatbeginn bis Sabbatende die Tore der Stadt zu schließen sind.
Auch hier ist es derselbe Punkt wie zuvor: Hätte Gott gewollt, dass am Sabbat in den Städten Israels die Tore geschlossen werden, dann hätte er es genau so geboten. Machte das, was Nehemia tat, dennoch Sinn? Natürlich, es machte total Sinn, denn so schützte er die Einwohner davor, den Sabbat überhaupt erst brechen zu können.
Das Wichtige – wirklich überaus Wichtige – ist aber nicht die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieses menschlichen Gebots, sondern eben die Frage nach dem:
Steht das in der Torah?
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Es ist im Grunde wie mit dem Händewaschen der Pharisäer vor dem Essen, welches wir im Laufe dieser Serie hatten. Auch da könnte man fragen: Ist das Händewaschen vor dem Essen sinnig?
Natürlich ist es das. Aber auch hier gilt: Hätte unser allwissender Gott gewollt, dass seine Kinder vor dem Essen ihre Hände waschen müssen, dann hätte er es genau so geboten. Hat er aber nicht.
Daher, egal wie sinnig das Händewaschen auch sein mag, es ist ein Menschengebot. Und wie scharf unser Herr Jeschua gegen diese “sinnigen Gebote” vorging, wissen wir aus den Evangelien. Wir kommen später noch auf diesen Punkt zurück.
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Wie bei der ersten Situation gibt es auch hier ein geistliches Abbild, was auf die heutige Zeit angewendet werden kann. Dieses Mal aber nicht auf uns, sondern auf unsere jüdischen Geschwister. Denn das, nennen wir es, “Schutztor” aus Nehemia ist im übertragenen Sinne nichts anderes als der sog. “Schutzzaun” des Talmuds. Auch da ist nämlich der Gedanke identisch zu Nehemia:
Man überinterpretiert Gebote und erteilt menschliche Vorsichtsmaßnahmen, damit wiederum das ursprüngliche Gebot der Torah nicht übertreten wird.
Wenn auch hier wieder der eigentliche Grundgedanke löblich sein mag, wissen wir, wohin das Ganze am Ende immer führt: In diesem Fall eben zum Talmud und zu hunderten und tausenden von diesen Überlieferungen, übereifrigen Überinterpretationen und den daraus entstehenden übervorsichtigen und gut gemeinten “Schutzgeboten”. Vor allem der Sabbat ist gerade zu voll davon. Menschengebot über Menschengebot.
Dabei ist das, was unser himmlischer Vater von uns sehen will, keine Liste mit zig Maßnahmen, den Sabbat zu halten, sondern er wünscht sich ein verändertes Herz, das keinerlei Probleme mit dem Nicht-Arbeiten hat und daher auch keine menschengemachten Schutztore oder Schutzgebote braucht.
Wir können also festhalten:
Es spielt keine Rolle, wie sinnig ein vermeintliches Menschengebot ist oder nicht. Man kann sich selbst soviel “sinnvolle Gebote” geben, wie man will. Aber sobald es anderen als: “Du musst das so machen!” weitergegeben wird, sündigt nicht derjenige, der dieser Lehre nicht folgt, sondern es sündigt derjenige, der der Torah etwas hinzugefügt hat, was da gar nicht steht.
Es ist aber so (Gott sei Dank muss man sagen), dass wir niemanden kennen (und sehr wahrscheinlich ihr auch nicht), der so etwas absichtlich macht oder gar einen bösen Hintergedanken dabei hat. Sicherlich nicht. Man tut es in den meisten Fällen mit einem reinen Herzen und aus ganz anderen Gründen.
Welche Gründe das sein können, schauen wir uns jetzt an …